

Linguistische Ästhetik
Zum mimetischen und logischen Gebrauch der Schrift
pp. 219-237
in: Vittoria Borsò, Gertrude Cepl-Kaufmann, Tanja Reinlein, Sibylle Schönborn, Vera Viehöver (eds), Schriftgedächtnis — Schriftkulturen, Stuttgart, Metzler, 2002Abstract
Die Praxis der Sprachwissenschaft ist seit jeher eine literale gewesen. Man beschrieb und erklärte die Sprachen oder die Sprache, indem man sich des Alphabets oder ähnlicher Schrifttypen bediente, um die zu beschreibenden Sprachformen zu vergegenständlichen.1 Die Frage, was der Sprachwissenschaftler tut, wenn er im Rahmen seiner Arbeit Schrift benutzt, ist daher lange Zeit im Hintergrund der erkenntnistheoretischen und methodologischen Debatten geblieben, die die Entwicklung der Linguistik begleitet haben.2 Erst im Kontext der Entdeckung der Schrift als genuin sprachwissenschaftliches Thema gewinnt sie allmählich Kontur. Gestellt wurde sie zunächst als technische und methodische Frage, dann als methodologische, z.B. im Zusammenhang mit dem Transkriptionsproblem. Ihre Brisanz entfaltet sie aber erst, wenn man die Frage grundsätzlich nimmt, also fragt, was die literale Praxis der Sprachwissenschaft für das ›Sein‹ ihrer Gegenstände bedeutet. Dies will ich im folgenden tun, um daraus in einem zweiten Schritt einige konzeptionelle Konsequenzen für die Linguistik zu entwickeln.