

The Racial Turn
"Race", Postkolonialität, Literaturwissenschaft
pp. 241-255
in: Miltos Pechlivanos, Stefan Rieger, Wolfgang Struck, Michael Weitz (eds), Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart, Metzler, 1995Abstract
›Race‹ bezeichnet eher ein Problem als eine feste Kategorie, über deren Existenz wir alle uns mehr oder weniger sicher sind, selbst wenn die genaue Bedeutung strittig bleibt. Geschichte markiert diesen problematischen Status mit einer Unübersetzbarkeit: das deutsche Wort ›Rasse‹ ist historisch so nachhaltig belastet, daß es als Äquivalent nicht mehr in Frage kommt. Aber auch das Englische erfordert Anführungszeichen, stumme Zeugnisse der Last kolonialer Vergangenheit, die das Wort trägt. Und selbst wenn wir die historischen Gebrauchsweisen und ihre Effekte ausklammern könnten, blieben die fundamentalen philosophischen Widersprüche bestehen, die eine Verwendung von ›race‹ als neutrale, deskriptive Kategorie zur Markierung geschichtlicher Unterschiede unter Völkern unterminieren. Ein widerspruchsfreier, analytisch befriedigender Begriff von ›race‹ läßt sich, wie Anthony Appiah (1986) gezeigt hat, weder mit Hilfe der Biologie oder Anthropologie noch auf der Basis einer gemeinsamen ›Gruppengeschichte‹ konstituieren. Der Konsens innerhalb der Naturwissenschaften bestätigt, daß eine genetische Definition ebensowenig wie eine Untersuchung von Verwandtschafts- oder Abstammungsbeziehungen hinreichende Kriterien zur Feststellung ›rassicher‹ oder ethnischer Differenzen liefern kann.