

Hermeneutik
pp. 139-158
in: Hans Feger (ed), Handbuch Literatur und Philosophie, Stuttgart, Metzler, 2012Abstract
Der Begriff ›Hermeneutik‹ ist mehrdeutig: Erstens werden damit seit der frühen Neuzeit Kompendien bezeichnet, in denen Regeln zur Textauslegung gegeben werden. Dies war besonders für juristische und theologische Schriften nötig. Die Frage etwa, ob ein bestimmtes Gesetz auf einen konkreten Rechtsfall anzuwenden sei oder nicht, setzt das richtige Verständnis des Gesetzestextes voraus. Autoren wie der Jurist und Philosoph Christian Thomasius (1655–1728) überließen dies Verstehen nicht dem durch ›Versuch und Irrtum‹ geleiteten Zufall, sondern verfassten Regelwerke, die eine richtige Auslegung anleiten sollten. Eine noch größere Rolle für die Entwicklung der hermeneutischen Wissenschaft spielt die reformatorische Infragestellung der kirchlichen Deutungshoheit. Dilthey etwa datiert den Beginn der Hermeneutik auf Matthias Flacius Illyricus' Schrift Clavis Scripturae Sacrae (1567), einer Sammlung bibelexegetischer Regeln (vgl. Dilthey 1966, 597 f.).