Soziologische Großtheorien

pp. 87-134

in: Dieter Claessens, Daniel Tyradellis, Konkrete Soziologie, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 1997

Abstract

Der Sinn eines Begriffs ist immer differenziell, d.h. er bedeutet etwas, weil er nichts anderes bedeutet. Mit Hilfe dieses so entstandenen Sinns ist es von da an möglich, Dinge und Sachverhalte zu unterscheiden, die man vorher gar nicht als voneinander verschieden wahrgenommen hätte. Schon hier hat also der wichtige Sat2 von Arnold Gehlen seinen Sinn: Erst Unterscheidung ermöglicht Entscheidung. Niemals bedeutet ein Begriff etwas bloß deshalb, weil er etwas repräsentiert. Der Begriff "Stuhl" erhält seine Bedeutung nicht dadurch, daß er eine direkte und zwangsläufige Verbindung zu einem Objekt hat, auf dem man üblicherweise sitzt (die hat er auch, aber nicht als Grund des Sinneffekts, sondern als ergänzende arbiträre Verbindung, die durch einen kulturellen Prozeß zustande gekommen ist, dessen Anfang niemals greifbar ist), sondern der Stuhl ist Stuhl, weil er kein Sessel, Hocker oder auch Tisch, Treppe, Mensch ist, zu schweigen davon, daß er z.B. keine Tätigkeit oder Eigenschaft darstellt. (Dieser Verweis auf etwas anderes zwecks Definition gilt ebenso für alles, worauf verwiesen wird — also ein Spiel von Verweisen ohne Grund.) Jeder konkrete Umgang mit einem Stuhl ist hochgradig bestimmt von seinem differenziellen Bedeutungsgefüge, der ihn uns erst in seiner Einheit und Funktion wahrnehmbar werden läßt. Das heißi nicht, daß es keinen Rest des Realen gäbe, der Widerstand leisten würde und materiell handhabbar wäre.